Samstag-morgens ist die Welt noch in Ordnung: Der IC verlässt Stuttgart´s Hauptbahnhof annähernd pünklich und der Wiesbadener Taxifahrer ist trotz der kurzen Fahrstrecke vom Bahnhof bis zur Praxis höflich und zurückhaltend. Kollege Wolf Neddermayer (Bild) öffnet die Tür, zwei kluge blaue Augen blitzen mich freudestrahlend an. N. ist Experte in Sachen „12-Uhr-Position“ eine Behandlungsweise bei der der Rücken des Zahnarztes so schonend wie möglich belastet wird, Anlass meines Besuchs ist ein praktischer Arbeitskurs unter seiner Anleitung. Das Kontrastprogramm zu der von einem Amerikaner namens Deryl Beach entwickelten Arbeitshaltung ist das vielerorts gepflegte behandeln aus der 9-Uhr-Position heraus, Vertreter dieser Technik sind der legendäre Fritz Schön sowie, aus jüngerer Zeit Richard Hilger. Ruheständler Neddermeyer beginnt mit einem kurzen Rundgang durch seine ehemalige Praxis. Fremde Praxen anschauen ist, zurückhaltend ausgedrückt, ein recht interessanter Zeitvertreib. Im Hinterkopf läuft ein permanenter Abgleich mit der eigenen Werkstatt. Ob das Schild „Mittagspause von 12 –13 Uhr“ auch für unsere Eingangstür sinnvoll wäre? Lila lackierte Stahlrohrstühle aus dem Möbelmitnahmemarkt statt den ewigen Arne-Jacobsen? Oder vielleicht ein paar von diesen Stofforchideen auf die Rezeption die auch beim Thailänder auf der Toilette stehen? Jedenfalls gäb´s dann keinen Stress mehr mit dem fehlenden Wasser im der Blumenvase… In der Zwischenzeit ist der zweite Kursteilnehmer, Kollege T. eingetroffen, einer derart überschaubaren Gruppe durfte ich bis dato noch nicht angehören. T. ist Zahnarzt wie es im Buche steht. Armani auf der Nase, dunkel und ausdrucksstark, ein auffallender Sigelring am Finger und die obligatorische Rolex am Handgelenk. Neddermeyer beginnt mit seinen Ausführungen über die propriozeptive Sensibilität und schwerkraftkongruente und –nichtkongruente Bewegungsmuster. Mit der Erfahrung zahlreicher Kurse versehen wirkt N. sehr routiniert und sicher ohne altklug zu nerven. Die Atmosphäre ist recht angenehm, gleichwohl es Kollege T. nicht gelingt, die in unregelmäßigen Abständen auftretenden Anzeichen seiner Langeweile zu verbergen. Mittlerweile ist es fast 12 Uhr 30, ich frage vorsichtig nach den weiteren Plänen im allgemeinen und dem Mittagessen im besonderen. Kursteilnehmer T. drängt es ebenfalls zu Tisch und so finden wir uns bald in einer Suppenküche wieder – es gibt Kartoffelsuppe mit Wurst für alle. Ob das reichen wird? Auf dem Weg zurück besorge ich mir zur Sicherheit noch ein Stückchen Kuchen, T. gibt einer Zigarette den Vorzug. Nachmittags wird fleißig am Phantomkopf geübt, N. bleibt engangiert und verbindlich. Da mein Kollege T. einige Aspekte der 12-Uhr-Technik mit Sicherheit nicht in seinen Praxisalltag aufnehmen wird, gehen die praktischen Übungen weitgehend an mich und gut gelaunt präpariere ich bis zum Kursende um 15 Uhr 15 an Phantoms Kunststoffzähnen während N. die Helferin gibt.
Fazit: Ein interessanter Kurs zu einem Thema, dem sich jeder Zahnarzt in irgendeiner Form stellen sollte. Aufgrund der Teilnehmerzahl sehr intensive Betreuung, die der Bedeutung des Stoffes sehr entgegen kommt. N. bereitet die Kursinhalte sehr anschaulich auf, die praktischen Übungen waren ausreichend. Location sehr speziell, Verpflegung gewöhnungsbedürftig.